Die Möschberg Erklärung des Bioforums Schweiz ist eine Standortbestimmung zur landwirtschaftlichen Situation im Jahr 2010. Die nüchterne Beschreibung bekannter Tatsachen enthält brisante Folgerungen. Während der Graben zwischen Stadt und Land, zwischen Wirtschaft und Landwirtschaft, allen SchweizerInnen als ein irgendwie geartetes „Problem“ bekannt ist, dürfte die Feststellung, dass der Selbstversorgungsgrad der Schweiz bei Null liegt (und nicht wie von offizieller Seite behauptet, 60% der konsumierten Nahrungsmittel beträgt) als Schock daherkommen. Das bisherige Schweigen aller zuständigen Fachstellen und Ämter bestätigt dessen tiefe Wirkung und die Tabuisierung zentraler Fragen. Denn die konsequente Sicht auf unsere erdölabhängige Landwirtschaft zeigt, dass die Betriebe nicht grösser, sondern kleiner werden müssen, dass nicht weniger, sondern mehr Arbeitskräfte in der Landwirtschaft nötig sind, kurz, dass die gängige Agrarpolitik sozusagen diametral falsch läuft. Nachhaltigkeit als ernsthafter Begriff ist in der öffentlichen Diskussion noch gar nicht angekommen.
Was ist in dieser schiefen Lage zu tun? Wo beginnen – wenn man nicht resignieren will? Das Bioforum hat einen ersten Schritt getan, um von der Erklärung zu Taten zu kommen. Das Fernziel ist klar: Wir alle, ob als einzelne Menschen oder als Staaten Europas, müssen unseren ökologischen Fussabdruck verkleinern. Wir können nicht länger auf Kosten anderer und der Umwelt unseren jetzigen Lebensstil pflegen. Es gibt keine zweite Welt im Kofferraum oder in der Hausapotheke. Die Beherzigung und Umsetzung der Möschberg Erklärung bedeutet deshalb nicht ein Zurück in alte Zeiten (wie es auf den ersten Blick aussehen mag), sondern ein Vorwärts in die praktische Vernunft natürlicher Gegebenheiten:
Der landwirtschaftlich bebaubare Boden ist da, um Energie in Form von Lebensmitteln hervorzubringen und nicht, um fossile Energie zu verschlingen.
Die Richtschnur für die vielen kleinen Schritte in eine zukunftsträchtige Landwirtschaft heisst „Ökologische Intensivierung“ (siehe Kasten). Damit ist ziemlich das Gegenteil jener Intensivierung gemeint, wie sie heute noch in der industriellen Landwirtschaft zur Gewinnung maximaler Erträge betrieben wird. Nicht Zusatzstoffe, nicht gentechnisch veränderte Sorten, nicht Kapitaleinsatz sind die Fährten in die Ernährungssouveränität. Die Ökologische Intensivierung schafft eine Vielfalt von Kulturen auf engem Raum und verlangt dafür nach mehr menschlicher oder tierischer Arbeitskraft. In ihr bestimmen nicht die Maschinen das landwirtschaftliche Tun, sondern gestaltende Menschen, die den lokalen topographischen und klimatischen Verhältnissen mit Achtung begegnen. Ökologische Intensivierung ist nicht nur Bauern und Bäuerinnen vorenthalten, auch Menschen in der Stadt und Agglomeration gewinnen zunehmend einen neuen Blick „auf’s Land“ bzw. für den Boden: Produktive Gärten blühen zwischen Häuserzeilen und Vertragslandwirte arbeiten mit ihren Kunden zusammen. Die „Soziale Intensivierung“, diese Ausebnung des mentalen Grabens zwischen Stadt und Land, ist der unverzichtbare Zwilling der neuen Landwirtschaft.
Wer die Landwirtschaft als schöne Landschaft und subventionierten Erholungsraum betrachtet und glaubt, in dieser weiten grünen Welt könnten alle städtischen BewohnerInnen des Landes ihren Fussabdruck hinterlassen, muss aufwachen. Die Landwirtschaft selber hinterlässt einen zu grossen Fussabdruck, weil sie mehr Fremdenergie braucht als sie auf natürliche Weise – über ihre Produkte – erzeugt. Das ist wie ein Auto mit kaputtem Motor oder ein Schwimmbad ohne Wasser. An diesem einfachen Befund mit fatalem Potenzial führt in Zukunft keine Überlegung, keine betriebliche Entscheidung, keine tägliche Handlung mehr vorbei. Jede künftige Veränderung auf dem Hof muss als Ziel haben, einen Schritt aus der Erdölabhängigkeit heraus zu kommen – ohne die Stromabhängigkeit zu vergrössern. Das dogmatische und eingefleischte Kriterium der Rationalisierung muss sorgfältig ersetzt werden durch Schritte hin zu wahrer Weltverträglichkeit und zu Arbeitskraftvermehrung. Mit der Ökologischen Intensivierung nimmt nicht nur die Biodiversität auf den Betrieben wieder zu, auch die „Soziodiversität“ oder Lebensqualität wird wachsen, indem regionale Netze wirtschaftlicher und sozialer Art neue Funktionen und Sinn bekommen.
Landwirte brauchen im 21. Jahrhundert keine Anleitung zum Suizid, weder die Ausstiegsprämie noch den Tod durch Wettbewerb, sondern vitale Unterstützung aus der ganzen Gesellschaft – zugunsten der ganzen Gesellschaft.